Weisbrod-Zürrer von 1905 – 1930
Von der Patronatsgesellschaft zur Kollektivgesellschaft – Die dritte Generation der Familie Zürrer (1905–1930er)
Mit dem Tod von Oberst Theophil Zürrer im Jahr 1905 endete nicht nur eine Epoche familiärer Führung, sondern auch die Zeit des klassisch patriarchalen Unternehmertums bei Zürrer. An seine Stelle trat ein neues Modell: eine geteilte Verantwortung zwischen den Geschwistern und der Witwe seines Sohnes Theophil junior. Diese Kollektivgesellschaft markiert den Übergang von der Ära des einzelnen Patrons hin zu einer arbeitsteilig organisierten, rechtlich geregelten Nachfolge – ein Spiegelbild des sich wandelnden Geistes der Moderne.
Ein sozial engagierter Unternehmer: Theophil Zürrer-Syfrig
Theophil junior, der Sohn des Obersts, war die treibende Kraft der dritten Generation. Neben seiner Rolle in der Firmenleitung übernahm er öffentliche Ämter: zweimal als Gemeindepräsident von Hausen am Albis und zweimal als Kantonsrat. Sein Engagement galt nicht nur der Industrie, sondern auch der sozialen Infrastruktur des Dorfs. 1903 liess er an der Albisstrasse 16 einen Kindergarten errichten – einer der ältesten im Kanton Zürich –, mit dem erklärten Ziel, den Arbeiterfamilien des Unternehmens qualifizierte Kinderbetreuung zu ermöglichen.
Auch als Präsident des 1897 gegründeten Verschönerungsvereins Hausen förderte er aktiv die Lebensqualität in der Gemeinde. Sitzbänke, schattige Spazierwege und sogar eine Badeanstalt am Türlersee gingen auf seine Initiative zurück. Er stellte das Land zur Verfügung, finanzierte Badehäuser für Frauen und Mädchen – und wurde später mit einem eigenen Brunnen am Bürglenstutz geehrt.
Technikvisionär und Energiepionier
1908 modernisierte Theophil Zürrer das Kraftwerk Aeugstertal umfassend: Der offene Kanal wich einer Druckleitung mit 70 cm Durchmesser, eine neue Turbine lieferte 60 Kilowatt Leistung – damals eine beachtliche Größe. Dieses private Elektrizitätswerk versorgte nicht nur die drei Zürrer-Fabriken in Hausen, Aeugstertal und Mettmenstetten, sondern auch Elektrofahrzeuge der Post. Theophil stellte Ladesäulen auf seinem Fabrikgelände bereit – ein Konzept, das erst hundert Jahre später wieder breite Anwendung fand.
Seine Technikbegeisterung ging noch weiter: 1911 propagierte er eine elektrische schienenlose Bahn – ein Vorläufer des Trolleybusses –, die von Sihlbrugg über Hausen und Affoltern bis nach Bremgarten hätte führen sollen. Das Projekt kam nicht zustande, aber es zeigt, wie visionär Zürrer dachte. Auch sein privates Wohnhaus ließ er 1911 an neuer Stelle in Mettmenstetten originalgetreu Stein für Stein wiederaufbauen. Kurz darauf starb er, nur 46-jährig, an einem Nierenleiden.
Neue Rechtsform: Zürrer & Co.
Nach seinem Tod gründeten seine Witwe Emmy Zürrer-Syfrig, seine Schwester Fanny Weisbrod-Zürrer und sein Bruder Robert Zürrer-Illi die Kollektivgesellschaft „Zürrer & Co., vorm. T. Zürrer“. Der Gesellschaftsvertrag legte exakt Kapitalanteile, Verantwortlichkeiten und Schlichtungsmechanismen fest – ein klarer Bruch mit der bisherigen patriarchalen Struktur.
Die operative Leitung lag bei Direktor Emil Huber, Buchhalterin Emma Frick und Verkäufer August Scheller. Nach dem Tod von Robert 1920 wurde die Gesellschaft von den beiden Frauen und Fannys Ehemann Gustav Weisbrod, einem Weinhändler aus Affoltern, weitergeführt. Die Verbindung zwischen Seidenindustrie und Weinhandel wurde so auch geschäftlich gestärkt.
Zwischen Weltkrieg und Nachkriegsboom
Der Erste Weltkrieg unterbrach die Expansion – Neubauten wurden verschoben, Rohstoffe knapp, der Absatz stockte. Doch mit dem Ende des Krieges kam ein wirtschaftlicher Aufschwung. Neue Stoffe wie Crêpe-Gewebe auf mehrschiffligen Webstühlen fanden reissenden Absatz – insbesondere in England. 1925, zum 100-jährigen Firmenjubiläum, wurde eine Patronale Stiftung mit 40’000 Franken gegründet – die Keimzelle einer betriebseigenen Pensionskasse. Das Unternehmen wuchs zwar nicht aggressiv, blieb dadurch aber beweglich und krisenresistent.
Ausbildung der vierten Generation
Da Emmy Zürrer-Syfrig kinderlos blieb, bereitete sich die Familie früh auf eine Nachfolge durch die drei Söhne von Fanny Weisbrod-Zürrer vor: Gustav Hubert (1905), Max Richard (1906) und Hans Robert (1907). Die Ausbildung dieser vierten Generation war international geprägt: Paris, London, Lyon, Norditalien – dort lernten sie das Seidenfach. Richard, der lieber Maler geworden wäre, konnte in Paris zumindest nebenbei seine künstlerischen Interessen pflegen.
Einblicke in familiäre Biografien
Hubert Weisbrod wurde Jurist, heiratete 1943 und wurde u.a. als Präsident des ACS Zürich für seine humorvollen Reden bekannt. Leidenschaftlich widmete er sich der Fotografie und der Jagd – ganz in der Familientradition.
Hans Weisbrod heiratete 1932 eine Theologin und zog ins eigens errichtete Haus oberhalb Ebertswil – wegen seines Asthmas an nebelfreier Lage, genannt „Zum weiten Horizont“.
Richard Weisbrod heiratete 1936 die aus der Romandie stammende Lucette Glardon, die er als Au-Pair in Manchester kennengelernt hatte. Die Familie lebte zunächst in England, vier Kinder wurden dort geboren.
Nach dem Tod von Fanny (1933), Gustav (1938) und zuletzt Emmy (1954) war der Weg frei für den Eintritt der vierten Generation ins Unternehmen. Was sie mit der Firma machten – ob sie sie modernisierten, festigten oder in eine neue Richtung lenkten –, wäre der nächste Abschnitt dieser langen Familien- und Industriegeschichte.