Weisbrod-Zürrer von 1825 – 1860

Von der Ferggerei zur Seidenindustrie – Die Anfänge von Weisbrod-Zürrer

Im Jahr 1825 gründete der 20-jährige Jakob Zürrer (1805–1870) in Hausen am Albis zusammen mit seinem Paten Mathias Hägi ein Seidengeschäft – eine mutige Entscheidung in einer Zeit des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs. Die kleine Firma begann als sogenannte Ferggerei: ein lokales Verteilzentrum für die Heimarbeit, in dem Weberinnen und Weber ihre Seidengarne abholten und fertige Stoffe wieder ablieferten. Bereits nach kurzer Zeit wagte das junge Unternehmen die Produktion auf eigene Rechnung – ein früher Schritt in Richtung industrieller Selbstständigkeit.

Vom Waisenkind zum Unternehmer

Die Lebensgeschichte von Jakob Zürrer ist eindrücklich. Als Kind verlor er beide Eltern und wuchs als Vollwaise auf. Sein Vormund regelte eine sorgfältige Ausbildung: Jakob besuchte eine Privatschule in Horgen und lernte Französisch im Berner Jura. Statt – wie von der Vormundschaft geplant – Landwirt zu werden, strebte er eine Karriere im Handel an. Mit Unterstützung seines Paten konnte er eine kaufmännische Lehre in Winterthur beginnen und sich später im Zürcher Seidenhandel etablieren.

Gegen anfänglichen Widerstand der Waisenbehörde gründete er 1825 das Geschäft Mathias Hägi & Cie.. Zwei Jahre später wurde Zürrer volljährig erklärt, 1834 übernahm er die Firma alleine. Bald beschäftigte er hunderte Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter im Knonauer Amt und darüber hinaus – von Zug bis Nidwalden.

Seide für die Welt

Die Stoffe aus Hausen waren gefragt: Mit leichten Geweben wie Florence und Marceline konnte Zürrer auf dem Zürcher Markt überzeugen. Produziert wurde in einem fein abgestimmten Heimarbeitssystem. Die Rohseide wurde lokal gefärbt, dann an die Fergger verteilt, die sie an Weber*innen weitergaben. Der gesamte Produktionsprozess – vom Winden bis zum Weben – lag in den Händen der ländlichen Bevölkerung.

Der Erfolg blieb nicht auf die Region beschränkt. An der Weltausstellung in London 1851 erhielt Zürrer eine bronzene „Victoria-und-Albert-Medaille“, in Paris 1855 eine silberne „Napoléon-III-Medaille“. Sein Schwiegersohn Caspar Baumann vertrat das Unternehmen in New York – ein frühes Beispiel internationaler Geschäftstätigkeit.

Architektur und Modernisierung

Der wirtschaftliche Aufschwung zeigte sich auch im Ortsbild von Hausen. Bereits 1840 liess Zürrer das prägnante Geschäftshaus an der Zugerstrasse – heute unter dem Namen „Grandezza“ bekannt – errichten. Es diente zugleich als Wohnhaus, Kontor und Lager. Architekten wie Leonhard Zeugheer und Wilhelm Waser schufen einen funktionalen und repräsentativen Bau. Zehn Jahre später folgte ein weiteres Gewerbehaus mit Winderei und Seidenlager, geplant von Ferdinand Stadler. Ein Tretrad, betrieben von Männern aus der Armenanstalt Kappel, sorgte für den Antrieb der Maschinen – ein ambivalentes Zeugnis der damaligen sozialen Verhältnisse.

Politisches und soziales Engagement

Jakob Zürrer war nicht nur Unternehmer, sondern auch politisch aktiv. Er sass von 1835 bis 1870 (mit Unterbrechung) im Zürcher Kantonsrat. Er setzte sich für den Schulbesuch armer Kinder ein, förderte den Eisenbahnbau durchs Knonauer Amt – und finanzierte das Kapital dafür aus eigener Tasche. Während der konfessionellen Spannungen der Zeit hielt er sich aus ideologischen Kämpfen heraus, um seine Wirtschaftsbeziehungen nicht zu gefährden. Seine Haltung war pragmatisch, sein Einfluss gross.

Eine Familie mit Visionen

Die Nachfolge plante Zürrer vorausschauend: Seine Söhne Emil und Theophil erhielten Ausbildungen in Leipzig und Paris. Theophil, musikalisch und künstlerisch begabt, brachte neue Impulse ins Unternehmen – etwa den Import eines Lyoner Webstuhls, mit dem erstmals schwere Stoffe wie Faille und Taffet hergestellt werden konnten. Damit gelang der Schritt in eine neue Qualitätsklasse: Stoffe mit bis zu 640 Kettfäden pro französischem Zoll (255/cm) – eine technische Spitzenleistung.

Auch familiär war das Unternehmen gut vernetzt: Die Zürrers verbanden sich durch Heiraten mit anderen Seidendynastien wie den Schwarzenbachs. Ihre Kinder übernahmen sowohl die Leitung der Firma als auch die Pflege eines kulturellen Lebensstils, wie das Sommerhaus „Neuhus“ mit Salon und Gästeempfang zeigt.

Jakob Zürrer (1805-1870)

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