Seide in der Mode

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Seide zum Inbegriff eleganter Mode. Ein Stoff, der nicht nur durch seine Haptik und seinen Glanz faszinierte, sondern durch seine Wandelbarkeit zum Liebling der Modewelt avancierte. In den Salons von Paris, in den Ballsälen von New York und auf den Boulevards Zürichs wurde Seide zur Leinwand für den ästhetischen Ausdruck einer neuen, zunehmend urbanen Gesellschaft. Mit dem Aufstieg der Bourgeoisie und der Industrialisierung entstand eine neue Klasse von Konsument*innen, die Wert auf Stil, Individualität und Status legte. Die Seide lieferte genau das: fliessende Silhouetten, schimmernde Oberflächen und ein Gefühl von Exklusivität.

In den Vereinigten Staaten erlebte Seide um 1850 bis zum frühen 20. Jahrhundert einen regelrechten Boom. Vor allem in New York und New Jersey entstanden Seidenmanufakturen, etwa in Paterson, das sich selbst stolz "Silk City" nannte. In Modezeitschriften wie Harper’s Bazaar wurde Seide als das edelste Material für Damenroben beworben, getragen von wohlhabenden Frauen auf Empfängen und Galas. Die Modemacher*innen dieser Zeit – etwa Charles Frederick Worth, der als Vater der Haute Couture gilt – entwarfen opulente Kleider mit Lagen aus Seidentaft und Chiffon, die nicht nur dem Körper schmeichelten, sondern auch dem Blick des Publikums.

In Zürich etablierte sich Seide ebenfalls als fester Bestandteil bürgerlicher Modekultur. Ab den 1860er Jahren florierten entlang des Zürichsees und im Säuliamt Seidenwebereien, deren fein gewobene Stoffe in die Modezentren Europas exportiert wurden. Die Zürcherinnen trugen Seide als Zeichen des modernen Selbstverständnisses: gebildet, kultiviert, aber modebewusst. Besonders beliebt waren helle, pastellfarbene Seidenstoffe für Sommerkleider und fein bestickte Seidenblusen für den Alltag der städtischen Frau.

Der Siegeszug der Seide setzte sich auch im 20. Jahrhundert fort. In den Goldenen Zwanzigern wurde Seide zunehmend leichter und fliessender. Ideal für die neuen, körperlosen Kleiderformen der Flapper-Generation. Labels wie Chanel experimentierten mit Seide in Kombination mit Jersey, was eine neue Lässigkeit in die Damenmode brachte. In den 1930er-Jahren – dem goldenen Zeitalter Hollywoods, wurden Stars wie Jean Harlow oder Marlene Dietrich in seidenen Bias-Cut-Kleidern zu Ikonen. Ihre Outfits, oft entworfen von Kostümdesignern wie Adrian oder Edith Head, schrieben Modegeschichte: glamourös, körperbetont, makellos fallend.

Nach dem Zweiten Weltkrieg feierte Seide ein Comeback mit Christian Diors New Look von 1947. Üppige Röcke aus schweren Seidentaftstoffen, kombiniert mit schmalen Taillen, zelebrierten eine Rückkehr zur Weiblichkeit in der Nachkriegszeit. Die Seide war nicht nur Material, sondern Ausdruck einer neuen, nostalgischen Opulenz. In den 1960er- und 70er-Jahren wurde Seide dann wieder rebellischer: Yves Saint Laurent, Diane von Fürstenberg und andere brachten bunte, grafisch gemusterte Seidenstoffe auf den Markt – tragbar, aber extravagant. Die Seidenbluse wurde zum Symbol der intellektuellen Boheme.

Auch in Zürich blieb Seide präsent, vor allem in der gehobenen Damenmode. Die Zürcher Bahnhofstrasse wurde zum Laufsteg der feinen Gesellschaft, und Marken wie Bally, später auch Akris in St. Gallen, verbanden Schweizer Textilkunst mit internationaler Fashion. In den 1990er- und 2000er-Jahren wurde Seide vor allem durch Designer wie Tom Ford bei Gucci, John Galliano bei Dior oder Phoebe Philo bei Céline neu aufgeladen.

Bis heute bleibt Seide ein fester Bestandteil der Modewelt. Ob als zarte Slipdress bei Calvin Klein, als Seidenscarf bei Hermès oder als Streetstyle-It-Piece bei Labels wie Jacquemus, der Stoff behauptet seine Relevanz zwischen Tradition und Trend. Die Mode liebt Seide nicht nur wegen ihres Glanzes, sondern wegen ihrer Fähigkeit, Bewegung sichtbar zu machen. Sie erzählt von Freiheit, Luxus und Verführung und von einem Stoff, der nie stillsteht.

Silk does for the body what diamonds do for the hand.
— Oscar de la Renta, Modedesigner
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