Geschichte der Seide
Kaum ein Stoff hat die Menschheitsgeschichte so geprägt wie die Seide. Ihr Glanz verführte Kaiser, ihre Weichheit kleidete Königinnen. Ihr Faden zog sich durch Handelsrouten, Mythen und Moden. Die Geschichte der Seide ist die Geschichte von Sehnsucht, Macht, Schönheit und der erstaunlichen Kunst, aus dem zarten Werk einer Raupe ein Symbol von Luxus und Kultur zu schaffen.
Ihren Ursprung hat die Seide im alten China. Bereits vor über 4.000 Jahren, zur Zeit der Shang-Dynastie, wurde sie dort gezüchtet, gewebt und getragen. Einer Legende nach entdeckte die Kaiserin Leizu den Faden, als ein Kokon in ihre Teeschale fiel und sich im heissen Wasser auflöste. Was sie da zwischen den Fingern hielt, war ein Faden von unglaublicher Feinheit und Reissfestigkeit und der Beginn einer neuen Ära. Über viele Jahrhunderte blieb das Wissen um die Seidenherstellung ein streng gehütetes Geheimnis des chinesischen Kaiserhofs. Der Export der Seide selbst hingegen florierte und wurde zum Namensgeber eines der berühmtesten Handelswege der Geschichte: der Seidenstrasse.
Ab dem 1. Jahrhundert nach Christus gelangte Seide über Zentralasien bis nach Rom. Dort wurde sie von der Oberschicht als Statussymbol getragen, so kostbar, dass man sie mit Gold aufwog. Später entwickelten auch Persien und Byzanz eigene Seidenzentren – oft mit chinesischer Technik und Know-how, das durch Spionage oder Migration in den Westen gelangt war. Im Mittelalter wurde Seide in Städten wie Konstantinopel, Venedig und später Lyon, Florenz und Zürich zur Grundlage ganzer Wirtschaftszweige.
In der Renaissance wurde Seide zum Stoff des Hofes. Sie kleidete Kardinäle, Könige und Kaufleute. Sie war oft reich bestickt, gefärbt und mit Goldfäden durchzogen. Die Textilindustrie blühte, und mit ihr entwickelte sich ein immer komplexeres System von Zünften, Vorschriften und Modetrends. Auch in der Schweiz, besonders in Zürich, dem Aargau und im Säuliamt, entstanden Manufakturen, die Seidenbänder, Tücher und Stoffe in höchster Qualität herstellten.
Mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert wurde Seide maschinell produziert. Das war schneller, günstiger, aber oft auf Kosten der Handwerkskunst. Dennoch blieb sie ein exklusives Material, geschätzt in der Haute Couture, im Interieur und in der Kunst. In dieser Zeit entstanden viele der legendären Seidenhäuser Europas, darunter auch Weisbrod, das 1825 in Hausen am Albis gegründet wurde.
Im 20. Jahrhundert wurde Seide Teil der grossen Moderevolutionen: fliessende Kleider in den Goldenen Zwanzigern, glamouröse Hollywoodroben in den Dreissigern, der „New Look“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Später entdeckten auch Popkultur, Streetwear und nachhaltige Designer*innen den Stoff neu, sei es als zarter Foulard, als edles Futter oder als bewusste Alternative zu synthetischen Materialien.
Heute, in einer Welt zwischen Fast Fashion und ökologischer Verantwortung, erlebt die Seide eine neue Bedeutung: Sie steht für Langlebigkeit, Natürlichkeit und Eleganz. Ihre Geschichte ist nicht abgeschlossen. Sie schreibt sich weiter, mit jeder Hand, die sie webt, mit jedem Kleid, das sie trägt.